Das Leben der Blattläuse in meinem Garten gibt es jetzt als Comic. Hier bestellen.

Mittwoch, 24. November 2010

Da ist der Wurm drin

Pro 25 x 25 Zentimeter 6 Würmer.
Letztes Wochenende habe ich eine Volkszählung in meinem Garten durchgeführt. Mit dem Spaten hob ich aus dem Rasen ein quadratisches Stück von 25 Zentimeter Länge aus und 20 Zentimeter Tiefe. Den Erdblock schaufelte ich in einen Kübel und begann daraufhin systematisch zu suchen. Nach Würmern. Seit Jahren höre ich nun schon die Geschichte von den Würmern, die zu Hunderten und Tausenden unter unseren Füssen leben, ohne dass wir davon etwas mitbekommen. Aber wie viele sind es tatsächlich? Fünf pro Quadratmeter? Zwanzig? Zweitausend?
Der Pfad zur Erleuchtung lautet in diesem Fall Spaten und Kübel. Zunächst fand ich in der leicht sandigen Erde gar nichts. Nur ein kleines Würmchen zeigte sich. Sollten das die vielbesungenen Heerscharen sein? Als ich mit dem wenig ergiebigen losen Erdreich fertig war, nahm ich mir die Wurzelschicht vor. Die ist etwa fünf Zentimeter dick. Vorsichtig schabte ich das Gemenge aus Graswurzeln und Erde Lage für Lage ab wie einen Raclettekäse. Als ich bis zum Gras durch war, hatte ich fünf zusätzliche Würmer beisammen. Das macht also sechs Stück für meinen Erdquader. Hochgerechnet auf einen Quadratmeter gibt das 96 Würmer. Immerhin.
Allerdings sieht es noch viel eindrücklicher aus, wenn man es auf meinen ganzen Garten hochrechnet. Bei 1400 Quadratmeter gibt das 134 000 Würmer.
Das ist Ed. Wurm 17 528 meines Gartens. Er
wohnt im Komposthaufen.

Donnerstag, 18. November 2010

Schlafende Flut

Der Rücken einer Spanischen Wegschnecke. Wo aber
ist ihr Kopf? Links oder rechts? Die Auflösung
steht unten*.
Wenn sich die Umwelt nur ganz langsam verändert, dann nimmt man oft gar nicht wahr, dass etwas anders geworden ist. Doch als ich neulich bei kaltem Regenwetter durch den Garten stapfte, fiel es mir auf. Sie waren weg. Alle, einfach restlos alle. Die Nacktschnecken haben sich in Luft aufgelöst. Wie kann das sein?
Vor wenigen Monaten noch waren sie so zahlreich, dass sie es sogar in die leserstärkste Zeitung der Schweiz schafften. Sie waren unübersehbar, allgegenwärtig. Meine Grossmutter war ab ihrer Flut so verzweifelt, dass sie einen ganzen Kübel von ihnen einsammelte und den Enten am See vorsetzte. Auf das Wohlergehen unseres Kopfsalates hatte die Aktion allerdings wenig Wirkung. Unter den verbleibenden Raspelzungen schmolzen ihre Köpfe dahin, wie Kugeln aus Pistazieneis in der Sonne.
Jetzt ist der ganze Spuk vorbei. Die Ursache dafür ist schnell gefunden. Die Spanische Wegschnecke – die Hauptvertreterin unter den Nacktschnecken in unseren Gärten – stirbt im Herbst. Ihr ganzes Leben und Lieben vollzieht sich in einer einzigen Saison. Apropos lieben. Wegen ihm werde ich wohl die Schnecken im nächsten Jahr alle wiedersehen. Denn bevor die erwachsenen Tiere dahinscheiden, paaren sie sich und legen ihre Eier in Ritzen im Boden, unter Steine und in den Komposthaufen. Bis zu 400 Stück pro Schnecke. Und da sie alle sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsteile besitzen, legt jede von ihnen Eier. Es ist kaum vorstellbar, was da im Frühling aus dem Boden zu kriechen trachtet. Eine Super-Schneckenflut.
Ich bereite mich schon mal mit der richtigen Lektüre vor. Da schreibt zum Beispiel eine Beamtin des dänischen Umweltministeriums in einem Faktenblatt: «Sammeln und töten ist die effizienteste Art, um die Spanische Wegschnecke in Schrebergärten loszuwerden.» Na dann viel Spass.


*rechts

Freitag, 12. November 2010

Pflanzen-AIDS

Von der Unterseite der Himbeerblätter regnet es
schwarze Pilzsporen. Sie gehören zum Himbeerrost,
einem Pilz, der sich von den Blättern ernährt.
Eine Pflanze könnte theoretisch ewig leben, denn sie besitzt eine besondere Art von Zellen, die Stammzellen. Diese altern nicht und produzieren in nie endender Folge Blätter, Blüten, Äste und Wurzeln. Und trotzdem bleibt ihr das ewige Leben verwehrt. Denn sie hat mächtige Gegenspieler, die nur eines im Sinn haben: sie zu fressen. Wir kennen sie alle unter dem harmlosen Begriff «Pilze». Doch diese Lebewesen, die weder zu den Pflanzen noch zu den Tieren gehören, sind mörderische Zeitgenossen.
Sie besitzen einen unersättlichen Appetit auf Zellulose, der Grundbaustoff, aus dem alle Pflanzen bestehen. Zellulose ist aus Zucker aufgebaut und genau hinter dem sind die Pilze her. Für sie ist eine Tanne oder ein Himbeerstrauch nichts weiter als ein grosser Kraftriegel. Die meisten Pflanzen haben kein Problem mit dieser Tatsache, weil sie eine breite Palette von Verteidigungen entwickelt haben. Dazu gehört zum Beispiel das Harz, das wie ein Fungizid wirkt, oder eine dicke Rinde, welche die Pilze daran hindert, einzudringen. Sind Eibe und Holunder also doch unsterblich? Nein.
Eine kürzlich publizierte Studie* aus England zeigt, dass die Mühe mit den Abwehrmechanismen umsonst ist. Die Forscher fanden heraus, dass die meisten gesunden Bäume bereits mit einer Vielzahl von tödlichen Pilzen infiziert sind. Diese richten keinen Schaden an, solange der Baum gesund bleibt. Doch das ändert sich schlagartig, sobald er einen Ast verliert, sich verletzt oder an Wassermangel leidet. Dann schlagen die Pilze in seinem Innern zu. Dieser an AIDS erinnernde Krankheitsverlauf stellt die Forschung vor ein Rätsel. Denn bislang dachte man, die Pilze würden erst dann in einen Baum eindringen, wenn er bereits alt und schwach ist. Wie es die Pilze schaffen, die Verteidigung gesunder Bäume zu überwinden, weiss heute noch niemand. Und so schlummert vielleicht schon in vielen Pflanzen meines Gartens der Tod und wartet nur darauf, dass er dem vermeintlich ewigen Leben ein Ende setzen kann.

*Parfitt D, et al., Do all trees carry the seeds of their own destruction? PCR reveals numerous wood decay fungi latently present in sapwood of a wide range of angiosperm trees, Fungal Ecology (2010)

Sonntag, 7. November 2010

Vom Winde verweht

Eine geflügelte Blattlaus wartet darauf, bis sie der
Wind wieder mit sich trägt.
Plötzlich sind sie da. Sie erscheinen auf Fensterscheiben, Hemden und Kinderwagen. Blattläuse sind sehr schlechte Flieger und die meiste Zeit in der Luft verbringen sie damit, sich vom Wind von einem Landeplatz zum nächsten klatschen zu lassen. So kommt es, dass sie wie Geister auftauchen, ganz anders als etwa eine Wespe, eine Biene oder eine Fliege, deren weit entwickelte Antriebssysteme einen Höllenkrach machen und es ihren Besitzern erlauben, es sich noch dreimal zu überlegen, ob sie nun überhaupt landen sollen oder nicht. Bei den Blattläusen entscheidet die Wucht des Windes über den Landeanflug.
Ihr Problem ist, dass sie im Grunde gar nicht in die Luft gehören. Ihr Platz ist der Grashalm oder das Rosenblatt, wo sie der Pflanze ihren Saft stiehlt. Dazu benötigt sie zwei Dinge: Beine, um sich festzuhalten, und einen Rüssel, um zu saugen. Flügel sind vollkommen überflüssig. Es sei denn, das Jahr geht zu Ende und man muss mal dringend sein Winterquartier aufsuchen. Dann sind Flügel sehr hilfreich. Für diesen Fall hat ihnen die Natur Flügel-Gene geschenkt, die sie bei Bedarf aktivieren können. Ihrem Nachwuchs entspringen dann zwei Paar billige Schwingen auf den Rücken. Sie sehen aus, als ob sie aus Frischhaltefolie ausgeschnitten worden wären und sind gerade stabil genug, um die Blattlaus in die Luft zu kriegen. Mehr aber auch nicht. Wen wundert es da, dass die kleinen Insekten lausige Piloten sind. Ich würde sogar sagen, sie sind sogar ziemlich blattlausige Piloten. Da darf man keine fliegerischen Meisterleistungen erwarten, wie sie beispielsweise die Stubenfliege vollbringt. Nein, einmal in der Luft ist die Blattlaus den Elementen ausgesetzt. Geht der Wind nach links, geht auch sie nach links. Geht er nach rechts, geht sie nach rechts. Streift der Wind den Kinderwagen, landet die Blattlaus auf dem Kinderwagen. Streift der Wind ein zweites Mal, ist die Blattlaus weg.

Donnerstag, 4. November 2010

Ein Hotel mit tausend Etagen

Ein Feuersalamander verkriecht sich
eben im Asthaufen.
Wenn Biologen beschreiben müssen, wo Tiere und Pflanzen leben, erzählen sie nicht von Alpenwiesen, die in den sternklaren Nächten vor Kälte erstarren, oder von einem Wald, der mit Moos überwachsen ist und nach frischen Pilzen duftet. Statt dessen begnügen sie sich mit dem etwas kargen Begriff «Lebensraum». Je nach Tierart fügen sie ihm noch etwas Anschaulichkeit hinzu, indem sie ein Adjektiv vorne hin stellen. Und so blüht das Männertreu im «alpinen Lebensraum» und der Fuchs durchstreift auf der Suche nach Essensresten den «urbanen Lebensraum». Aber wie sieht dieser Raum nun tatsächlich aus, in dem die Tiere Leben?
In meinem Garten gibt es ein gutes Beispiel. Es ist der Asthaufen. Unser Exemplar ist über die Jahrzehnte zu einem ansehnlichen kleinen Hügel angewachsen. Er besteht aus allem, was zu grob für den Kompost ist. Also abgeschnittene Äste, dürre Stängel einjähriger Pflanzen oder Efeu, der von der Hauswand lassen musste. Dieses zuweilen starre und ungleiche Baumaterial fügt sich mit der Zeit zu einem grossen Gebäude zusammen, das aus unzähligen Zimmern und Stockwerken besteht. Ich nenne es das «Salamanderhotel». Tatsächlich lieben sowohl Feuersalamander als auch Blindschleichen den Asthaufen mit seinen unendlichen Möglichkeiten sich zu verkriechen.
Wie viele von ihnen dort ein Zimmer genommen haben, sehe ich jeweils, wenn ich alle paar Jahre einmal den Haufen etwas saniere und umschichte, damit wieder neues Baumaterial auf ihm Platz bekommt. Die Stechgabel braucht nicht lange zu stochern und schon zeigen sich die verärgerten Hotelgäste. Salamander um Salamander purzelt aus den aufgerissenen Zimmern. Dazwischen ducken sich die Blindschleichen vor den herabstürzenden Wänden. Das also meinen die Biologen, wenn sie von «Lebensraum» sprechen – ein Hotel mit tausend Etagen.
Related Posts Plugin for WordPress, Blogger...