Das Leben der Blattläuse in meinem Garten gibt es jetzt als Comic. Hier bestellen.

Montag, 27. September 2010

Der Tafelberg

Der Schachtdeckel zum Öltank auch bekannt
als der «Tafelberg».
In Südamerika gibt es sonderbare Tafelberge. Ihre Seitenwände ragen senkrecht aus dem Urwald empor und verschwinden weit oben in den Wolken. Die Oberseite ist flach und wird von Pflanzen und Tieren bewohnt, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt.
Tafelberge gibt es ausser in Südamerika auch in meinem Garten. Nur sind sie nicht natürlichen Ursprungs, sondern von Menschenhand gemacht. Der Aussendeckel des Öltanks ist ein Beispiel. Er ragt mehrere Zentimeter über den Grasdschungel hinaus. Seine Oberseite und seine Seitenwände bieten – genau wie beim grossen Vorbild auf der anderen Seite des Atlantiks – Lebensraum für aussergewöhnliche Pflanzen: die Moose.
In dieser Diaschau sind alle Moosarten des Tafelbergs
aufgeführt. Wenn ihr draufklickt kommt ihr zum
entsprechenden Webalbum, wo ihr mir Tipps
bezüglich Artnamen geben könnt. Fülltext Fülltext Fülltext Füll  
Das Erstaunliche dabei ist, wie viele Arten auf so engem Raum zusammenleben. Jede von ihnen beansprucht nur einen kleinen Fleck für sich. Darum ändert sich alle Handbreit der Bewuchs. Die einzelnen Spezies auseinanderzuhalten ist gar nicht so einfach. Ich schätze, dass es zwischen vier und zehn Arten sind. Wenn ihr auf die Diaschau klickt, könnt ihr mir bei der Bestimmung der Namen helfen.

Donnerstag, 23. September 2010

Steinpflaster-Pflanzen

Pflastersteine sind ein Lebensraum. Wenn auch
ein sehr karger.


Es gibt Bücher, von denen weiss man Jahrzehnte lang nicht, dass sie überhaupt existieren. Vermutlich weil man das Thema, das sie behandeln, gar nicht als möglichen Inhalt für ein Buch erkannt hat. Aber wenn man erst einmal in ihnen blättert, verändert sich die eigene Sicht auf die Welt grundlegend. «Lebensräume der Schweiz» ist so ein Buch. Sein Inhalt: die Beschreibung aller 235 hiesigen Lebensraumtypen vom «Fliessgewässer» über den «Kastanienwald» bis zur «Kammgrasweide».
Die Schweiz – ja, jedes Land – ist ein Flickenteppich und jeder Flick ist ein Lebensraum. Manche kommen sehr oft vor wie zum Beispiel das «Brombeergestrüpp», andere sind eher selten wie die «Queckenbrache». Interessant ist, dass diese Einteilung vor meinem Garten nicht Halt macht, sondern direkt bis vor meine Haustür reicht. Dort liegt meine Einfahrt. Ein kleiner Platz, der mit Pflastersteinen besetzt ist. Und tatsächlich führt das Buch die «Steinpflästerung» als Lebensraumtyp auf. Da lese ich in der Beschreibung: «Im Allgemeinen lückiger, niedrigliegender Pflanzenteppich in Fugen von Pflastersteinen und Ritzen andersartiger Hartbeläge, die stark begangen werden.»
An den Rändern der Einfahrt blühen die Pflanzen sogar. 




Dort können nur Moose und kleinwüchsige Gefässpflanzen überleben, wie es heisst. Ich mache die Probe auf’s Exempel und schaue vor meiner Haustür nach. Und tatsächlich finde ich ein halbes Dutzend verschiedene Arten, die zwischen den Ritzen der Pflastersteine hervorwachsen. Das Moos gedeiht am üppigsten, vor allem in der Nähe der Schatten spendenden Hauswand. Sie lieben es eben kühl und feucht. Hingegen wo es mehr Sonne gibt, gedeihen kleine Kräuter und ein rotblättriger Klee bringt sogar Blüten hervor mitten in dieser kargen Steinwüste.
Hier profitiert einer vom anderen: Das
Moos speichert Feuchtigkeit und die
kleine Erdbeere bedient sich davon.

Die meisten Pflanzen wachsen an den Rändern der Einfahrt. Dort sammelt sich am meisten Laub und anderes Material, das als dürftiger Bodenersatz herhalten muss. Aber sogar auf den Pflastersteinen selbst gibt es Leben. Flechten und Algen wachsen in dieser sonnenversengten Todeszone, wo es meistens kein Wasser gibt oder dann viel zu viel auf einmal, wenn der Regen fällt. Meine Einfahrt ist übrigens ein bedrohter Lebensraum. Im Buch heisst es: «Dieser Pflanzenbewuchs wird häufig beim Überziehen der Steinpflästerung mit Asphaltbelägen oder durch Herbizidbehandlungen zerstört.» Also Finger weg von der Giftkeule.

Montag, 20. September 2010

Die Duftwolke

Der Efeu blüht – ein letztes Aufbäumen
des Sommers.
Es ist Herbst. Das war’s. Das Leben im Garten erlischt. Stimmt nicht. Dieser Tage schwebt eine Wolke eines eigentümlichen Duftes über dem Sitzplatz. Es riecht nach süssem Schweiss und beim Einatmen kratzt es in der Nase. Ich muss nur nach oben schauen, um den Ursprung auszumachen. Da steht der alte Birnbaum, der vor Jahren seine letzte Birne abgeworfen hat. Er ist dick überwachsen mit Efeu. Und der Efeu blüht. Tausende von Blüten.
Dass ich es mit der Nase statt mit den Augen zuerst gesehen habe, hat einen einfachen Grund. Die Farbe der Blüte ist grün. Sie ist perfekt getarnt. Nur die mit Pollen behafteten Staubbeutel sind gelb. Den Insekten scheint der Mangel an Farbe nichts auszumachen. Was Flügel hat, feiert jetzt die letzte Schlemmerparty. Da gibt es Honigbienen, Fliegen, Schwebefliegen und Wespen. Offenbar riechen sie den Zuckersaft mit ihren Fühlern.
Der ganze Blütenboden ist mit Zuckersaft getränkt.
Diesen gibt der Efeu grosszügig her. Er sondert ihn über den ganzen Blütenboden ab. Dieser ist eigenartigerweise nach vorne gewölbt und ganz leicht zugänglich. Die Insekten brauchen nur noch zu landen und loszulecken. 

Donnerstag, 16. September 2010

Beziehungsstatus: Farn

An seiner Unterseite entlässt jeder
Farnwedel Milliarden von Sporen.
Menschliche Beziehungen können kompliziert sein. Da gibt es Mann und Frau, Partner und Lebenspartner, Geliebte und die grosse Liebe, Flirts und Flops. Das mag manchem Kopfweh bereiten und doch gibt es eine Art von Beziehung, eine besondere Form der Liebkosung und der sexuellen Vereinigung, die sie alle in den Schatten stellt. Sie geschieht genau jetzt in meinem Garten – lautlos und in der Privatsphäre der untersten Schicht des Rasens.
Aber beginnen wir weiter oben: Der Wurmfarn entlässt gerade Milliarden von Sporen. Ich kann sie weder sehen noch riechen, aber nichtsdestotrotz schweben sie durch die Luft. Ich atme sie ein und wieder aus und irgendwann landen sie auf der Erde, auf einem Grashalm oder zwischen dem Unkraut im Steingarten. In der feuchten Geborgenheit der Bodenstreu, so möchte man meinen, keimen die Sporen und wachsen zu neuen Farnpflanzen heran. Weit gefehlt. Farne lieben es kompliziert.
Denn die Sporen sind im Grunde nur halbe Farne. Sie besitzen nur die Hälfte des Erbguts ihrer Mutterpflanze. Darum wächst aus ihnen auch nur ein kümmerliches Pflänzchen. Die Botaniker nennen es einen «Gametophyt». An seiner Unterseite bildet er einerseits Kapseln, die Eizellen enthalten. Andererseits bringt er Auswüchse hervor, aus denen kleine, mit Geisseln bewehrte Spermien strömen. Pflanzliches Sperma. Die kommen freilich nur dann vom Fleck, wenn es draussen sehr nass ist. Also bei Regenwetter etwa. Dann rudern sie auf dem feinen Wasserfilm, der das Leben im Garten bedeckt, zu einem benachbarten Gametophyt und verschmelzen mit dessen Eizellen. Erst aus dieser Befruchtung geht eine neue Farnpflanze mit einem vollständigen Erbgut hervor.
Wer jetzt dessen Eltern sind, ist eine schwierige Frage. Sind es zwei Gametophyten, zwei Sporen oder zwei Farne? Oder ein Farn, aus dem zwei Sporen zu zwei Gametophyten geführt haben und dann... Also: Kopfweh dürft ihr euch das nächste Mal erst erlauben, wenn ihr den Beziehungsstatus «Farn» erreicht habt.

Montag, 13. September 2010

Die süsse Giftpille

Die rote Eibenbeere ist süss und
ungiftig. Ihr Inhalt, der Samen, jedoch
kann töten.
Bei Eibenbeeren sind sich die Vögel uneinig: sollen sie oder sollen sie nicht reinhauen? Die Zweifel haben sie mit gutem Grund. Denn die Eibe steckt voller Gift. Die Rinde, die Nadeln und die Samen enthalten Taxin, ein stark wirksames Nervengift. Eingenommen kann es im Extremfall innert weniger Minuten zum Herzstillstand führen. Motor aus, Vogel tot. Die Meisen und die Amseln müssen das irgendwie spüren oder vielleicht haben sie schlechte Erfahrungen mit dem Verzehr der Samen gemacht und meiden ihn darum.
Gut, Finger weg von den Samen also – aber die Vögel kommen trotzdem immer wieder an den Baum zurück und fressen sich voll. Warum? Weil der Baum seine Samen in rotes, zuckersüsses Fruchtfleisch verpackt. Es ist der einzige ungiftige Teil an der ganzen Pflanze und seine leuchtende Farbe schreit die Amseln geradezu an: «Iss mich!»
Ein hinterhältiges Angebot auf den ersten Blick, doch die Natur meint es gut mit den Vögeln. Sie hat ihnen einen der schnellsten Verdauungsapparate im Tierreich geschenkt. Was vorne rein kommt, wird innert weniger Stunden hinten wieder ausgeschieden. In dieser Zeit werden die Magensäfte gerade mal mit dem Zucker der Beeren fertig, aber nicht mit den harten Eibensamen. Dieser Umstand rettet den Vögeln das Leben. Wenn sie ihn unversehrt an einem anderen Ort wieder ausscheissen, sind sie ihn samt seinem Gift los.
Weibliche Eiben produzieren jedes Jahr
Tausende von Samen.
Also können sich die Amseln den Wanst getrost voll schlagen? Fast. Denn einen Haken hat die Sache. Wenn der Samen verletzt wird – und das kann bei einem grossen Bankett schon mal passieren – dann setzt er sein Gift frei. Deswegen frisst die schlaue Amsel nur die Beere und spuckt den Samen wieder aus. So wird die Eibe zwar um ihren verdienten Ausflug in eine andere Gegend betrogen, doch wenigstens spielt der Vogel dabei kein Russisches Roulette.

Donnerstag, 9. September 2010

Nervtöter-Fresserin

Geschickt hält sich die Springspinne
am Fensterrahmen fest und
saugt ihr Abendmahl aus.
Artenvielfalt hat einen Wert. Jetzt weiss ich es. Denn gerade als ich die Vorhänge in meinem Büro zuziehen will, entdecke ich eine kleine Springspinne. Sie ist nicht allein. In ihren Fangzähnen hält sie eine Fliege fest. Beide sind absolut regungslos. Wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Die Fliege würde sich wahrscheinlich gerne bewegen, jetzt wo die Linse meiner Kamera nur wenige Zentimeter vor ihr in Stellung geht. Doch sie kann es nicht. In ihrem Körper befindet sich wohl schon seit einigen Minuten ein Verdauungssekret. Das Zersetzt ihre Organe und ihr Nervensystem und macht aus ihnen einen flüssigen Cocktail, den die Springspinne jetzt genüsslich ausschlürft. Dabei bewegt sich die Jägerin keinen Millimeter. Das ist vermutlich Taktik, denn wer sich ruhig verhält beim Fressen, der läuft weniger Gefahr, entdeckt zu werden und so selbst als Leckerbissen zu enden. Befände sich die Springspinne draussen auf einem Baumstamm oder an einem Pflanzenstängel, würde man sie dank ihrer Tarnfärbung auch kaum sehen. Ich weiss zwar nicht, wie die Spinne durch das mit Fliegengitter gesicherte Fenster kam, aber sie darf ruhig bleiben. Wer mir gratis und diskret die fliegenden Nervtöter vom Leibe hält, ist immer ein gerngesehener Gast.

Sonntag, 5. September 2010

Todesstrafe verhängt

Altgrasstreifen sind Heuschrecken-
paradiese. Die Tiere lieben es, auf den
verdorrten Stängeln zu zirpen.

Als ich vor ein paar Monaten beschloss, einen Teil des Rasens nicht zu mähen, konnte ich mir noch nicht genau vorstellen, was das der Artenvielfalt in meinem Garten nützen soll. Mit der Zeit verdorrten die Halme und das Gras verfilze immer mehr. Nichts für das Auge. Aber dafür verbesserte sich je länger je mehr die Akustik. Heute finden in diesen Arealen der Unordnung regelmässige Konzerte statt. Die Heuschrecken zirpen um die Wette. Sie lieben diesen Miniaturdschungel.
Nun hat jedoch Grossmutter dieses Wochenende ein Machtwort gesprochen und verfügt, dass ich den ganzen Rasen mähe – jeden einzelnen Halm davon. Meine Wildnisinseln sind Geschichte und mit ihnen das Leben, das sie enthielten. Der Rasenmäher konnte aber nicht alles vernichten. Manche Heuschrecke retteten sich mit einem Sprung vor den beiden rotierenden Klingen. Bei den Spinnen war die Lage weniger hoffnungsvoll. Viele von ihnen endeten als Konfetti.
Wespenspinnen fühlen sich im Chaos eines
ungeschnittenen Rasens ebenfalls sehr wohl.
Als ich gerade dabei war einen weiteren Streifen des Dschungels in englischen Rasen zu verwandeln, kroch eine grosse Wespenspinne verzweifelt vor dem näher kommenden Mäher davon. Ich konnte gerade noch rechtzeitig anhalten. Eine richtige Schönheit. Ich nahm sie in die Hand (die Giftzähne können die menschliche Haut nicht durchdringen) und setzte sie auf einem Busch ab. Dort war sie in Sicherheit.
Diese Begegnung zeigt einmal mehr, wie wichtig die Unordnung für den Erhalt der Artenvielfalt ist. Mit einer chaotischen Umwelt wissen Tiere mehr anzufangen als mit unseren herausgeputzten Gärten. Das Beispiel zeigt jedoch auch, wie schwierig es ist, das eigene Verhalten seinem Wissen anzupassen. Einer der Gründe, warum die Artenvielfalt heute weltweit bedroht ist.

Donnerstag, 2. September 2010

Die Wasserdampf-Trinker

Die Gartenmauer ist die senkrechte Heimat
der Pinselfüsser.
Auf meiner Gartenmauer neben der Einfahrt leben eigenartige Tiere. Sie heissen Pinselfüsser (Polyxenus lagurus) und sind nur vier Millimeter lang. Ihr ganzer Körper ist mit federartigen Auswüchsen bedeckt. Darum wohl der Name. Ihre Nahrung besteht aus Algen und Flechten, was die senkrechte Wand zu einem Schlemmerland für sie macht. Die kleinen Tierchen gehören zur Gruppe der Tausendfüsser, sie besitzen jedoch nur gerade 12 Beinpaare. Was ihnen an Laufkraft fehlt, machen sie mit Hightech wett. Die Pinselfüsser sind nämlich sehr trockenheitsresistent. Das heisst, über ihren Panzer verdunstet fast kein Wasser. Was in ihrem Körper ist, bleibt auch dort. Zudem entziehen sie ihrem Kot die Feuchtigkeit, bevor sie ihn ausscheiden. Auch hier wird also gespart.
Die seltsamen Auswüchse auf seinem Körper geben den
Pinselfüssern ihren Namen. Der Kopf ist hier rechts unten.
Das Wundersamste an ihnen ist jedoch ihre Gabe, Wasserdampf zu trinken. Damit meine ich nicht die kleinen Tautröpfchen, die am Morgen wie feiner Nebel durch die Luft schweben und sich auf der Autoscheibe als Wasserfilm niederschlagen. Nein. Sie trinken den unsichtbaren Wasserdampf, Luftfeuchtigkeit mit anderen Worten, der uns in jeder Sekunde umgibt. Das fanden Wissenschaftler heraus, indem sie die Tiere in einen Luftstrom von 80 Prozent Luftfeuchtigkeit steckten. Die Pinselfüsser legten in einigen Stunden 20 Prozent ihres Gewichtes zu. Sie tranken die Feuchtigkeit des Luftstroms. Mit welchem Organ sie das machen, wissen selbst die Forscher noch nicht. Ein ungelöstes Rätsel direkt vor der Haustür.
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