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Sonntag, 29. August 2010

Die Pollenschleuder

Im ganzen Baum wachsen gerade Hunderte oder Tausende
solcher Zapfen heran – allesamt voller Pollen.
Die Allergiker atmen auf. Bald ist das Pollenjahr vorüber und alle erdenklichen Pflanzen vom Hasel bis zur Goldrute haben abgeblüht. Fast alle. Denn der ganz dicke Nachbrenner kommt erst noch: die Atlaszeder. Unter ihnen produzieren zwar nur die Männchen Pollen. Aber die machen das dafür gleich im Überfluss. In meinem Garten steht ein grosses Exemplar und auf jedem einzelnen Ast wachsen ein oder zwei Dutzend männliche Zapfen. Die werden sich bald öffnen und es Pollen regnen lassen, als gäbe es kein Morgen. Der Baum steht gleich neben der Einfahrt und wenn ich mein Auto nur für ein paar Stunden dort stehen lasse, ist es gepudert. Zum Glück bin weder ich noch das Auto allergisch.
Aber mühsam ist das Sexleben dieses Baumes trotzdem. Denn wenn er erst einmal all seine Pollen losgeworden ist, wirft er die Zapfen einfach ab. Die sind nicht etwa hart wie Tannzapfen, sondern schön weich. Sie besitzen die üble Angewohnheit, sich mit Wasser voll zusaugen. Wenn sie dann zu Boden fallen, bleiben sie an Ort und Stelle haften, wie nasse Wattebausche. Jetzt kann man sich ja vorstellen, wie mein Auto dann aussieht. Vor allem die Scheibenwischer muss ich jeden Tag reinigen, sonst geht gar nichts mehr.
Aber ein wenig tut mir die männliche Atlaszeder auch Leid. Denn sie ist in meinem Garten die einzige ihrer Art. Die meisten ihrer Pollen werden wohl nie auf das weibliche Gegenstück treffen und so zu einem neuen Samen, einem potenziellem Nachkommen, führen. Die einzige Hoffnung liegt in einer Baumschule etwa einen Kilometer Luftlinie von meinem Garten entfernt. Wenn der Wind von Südwesten bläst haben die Pollen vielleicht eine Chance, es über das kleine Wäldchen dazwischen zu schaffen. Hoffentlich gibt es dort auch ein paar Weibchen.

Mittwoch, 25. August 2010

Mikro-Gärten

Zwischen den Steinplatten öffnet sich ein neuer Lebensraum.
Gärten sind wie gekotzte Milch – keine einheitliche Masse, sondern ein Gemenge aus unterschiedlich grossen Klümpchen. Gärten bestehen nicht nur aus «Grünfläche» oder «Rasen», nein, vielmehr sind sie aus einer Vielzahl kleiner Lebensräume zusammengesetzt. Jeder von ihnen ist wieder ein Mikro-Garten für sich. Natürlich muss man das Auge etwas schulen, bevor man die Grenzen zwischen den einzelnen Abschnitten ausmachen kann. Üben lässt es sich gut auf dem Sitzplatz, denn dort ist die Gliederung noch recht klar ersichtlich.
Die Oberfläche der Steinplatten ist eine Art von Lebensraum. Es gibt dort Ameisen, die auf und ab rennen, ab und zu eine Fliege oder ein Laufkäfer. An den Plattenrändern öffnet sich ein neuer Abschnitt. Aus den Spalten wächst Gras, Moose oder sogar Erdbeeren hervor. Einen Schritt weiter steht eine alte Holzbank. Sie ist übersät mit winzigen Algen, die ihr einen grünen Anstrich verleihen. Das Holz ist immer etwas feucht und bietet den winzigen Pflanzen den besten Nährboden für ihr Wachstum. Und über ihnen machen sich die Flechten breit. Links von der Bank steht die Vogeltränke. Auf einmal ist da Wasser in der kargen Steinwüste der Bodenplatten. In diesem Miniaturtümpel schwimmen Mückenlarven.
Auf der Gartenbank wachsen Algen
und Flechten.
Jetzt auf den Rasen. Im ewigen Schatten unter dem grossen Busch haben sich die genügsamen Indischen Scheinerdbeeren breit gemacht. Das Gras muss dort weichen. Ebenso dort, wo das Grundwasser aus dem Boden drückt und Moos in grossen Polstern wachsen lässt. Gras hat da keine Chance. Erst auf der Südseite, wo die Sonne den ganzen Tag scheint, ist der Rasen ein Rasen aus Gras. Doch nur zwei Meter weiter unter der grossen Akazie fällt so wenig Regen hin, dass Brombeeren und Unkräuter das Feld dominieren. So ist jeder Lebensraum das Zuhause einer anderen Gruppe von Lebensformen.

Freitag, 20. August 2010

Grüne Wüste

Distelblüten gehören zu den letzten Tankstellen für
Hummeln und Bienen.
Der Alant ist bereits verblüht, die Anemonen werden bald schlapp machen und vom Rest der Gartenpflanzen erwarte ich nicht mehr viel. Die Zeit des Blühens, des Pflanzensex, ist grösstenteils vorbei. Nun ist die Reifephase gekommen. Die Früchte füllen sich mit Saft und die Samenkapseln werden mit jedem Tag dürrer, bis sie ihre wertvolle Fracht zu Boden fallen lassen. Die Pflanzen haben kein Problem mit diesem neuen Lebensabschnitt. Wohl aber die Insekten, die auf Nektar angewiesen sind. Für sie hat sich der Garten in einen Ort verwandelt, der zwar noch grün ist, aber in dem es keine Nahrung mehr für sie gibt: eine grüne Wüste.
Darum bekomme ich sie immer seltener zu Gesicht. Sie sind zu anderen Jagdgründen geflogen, möglicherweise zu einem Streifen Klee, den der Bauern noch nicht gemäht hat, zu den Unkräutern in einer Hecke oder zu den kleinwüchsigen Blütenpflanzen in der nächsten Kiesgrube.
Die Kehrseite: Hunderte von Samen an kleinen
Fallschirmchen. Da hat mein Nachbar wenigstens auch
noch etwas davon.
Es gibt allerdings eine Ecke im Garten, wo der Flugverkehr noch rege im Gang ist. Der Grund dafür ist eine Pflanze, die von den Gärtnern im Allgemeinen gehasst wird. Die Distel. Neben der Akazie wächst ein riesiges Exemplar. Sie ist eineinhalb Meter hoch und übersät mit hübschen Blüten. Ein Festessen für Hummeln und Bienen. Sie bohren ihre Köpfe tief zwischen die Blütenblätter und saugen den Zuckersaft aus den Nektardrüsen. Die Insekten können sich glücklich schätzen, denn die Distel wird wohl noch einige Wochen lang ständig für neuen Nachschub sorgen.
Ihr Vorteil könnte sich im nächsten Jahr zu meinem Nachteil entwickeln. Spätestens dann, wenn die vielen Hundert Samen, die eine solche Distel hervorbringt, zu keimen beginnen und meinen Garten in einen stacheligen Wald verwandeln. Ich kann mich schon mal auf viel Jätarbeit gefasst machen. Aber die Bienen sind es mir wert.

Montag, 16. August 2010

Nach Land fischen

Die Ausläufer arbeiten sich über den Randstein auf die
Strasse vor immer gesichert durch eine Leine.
Die Strasse ist die Todeszone schlechthin. Dort ist es trocken und heiss, es gibt keine Erde und jegliches Leben wird sofort mehrfach platt gewalzt. Allerdings gibt es einen schmalen Streifen, der nur äusserst selten bis nie mit einem Autoreifen in Berührung kommt: der Strassenrand. Und genau diesen Lebensraum versuchen gerade meine Walderdbeeren zu erobern.
Ihre Strategie ist die folgende. Sie bilden einen Ausläufer, den sie weg vom Rasen auf den Randstein schieben. Der Ausläufer, eine kleine Kopie der Mutterpflanze, bildet wiederum einen Ausläufer. Dieser schafft es bereits bis zum Ende des Randsteins. Dort entwächst ihm erneut ein Ausläufer, der es dieses Mal auf die Strasse hinunter schafft. Der ganze Tross ist indes mit einem Kabel mit der Mutterpflanze auf dem Rasen verbunden. Von dort werden die Jungpflanzen mit Nährstoffen versorgt. Zum Glück, denn ihre Wurzeln können sich kaum in den steinharten Untergrund bohren.
An den jungen Erdbeerpflanzen
staut sich während Unwettern
altes Pflanzenmaterial.
Jetzt kommt der Trick. Das Kabel ist auch eine Art Sicherungsleine. Strassenränder haben die unangenehme Eigenschaft, dass sie bei Regen von reissenden Bächen heimgesucht werden. Die Sicherungsleine sorgt dafür, dass die jungen Erdbeeren nicht in der Kanalisation enden. Aber sie macht noch mehr. Der Bach spült Erde und kleine Pflanzenteile wie etwa Tannennadeln mit sich. Die bleiben in den Wurzeln der jungen Erdbeeren hängen und bilden bald ganze Haufen. So entsteht unter ihnen ein Kompost, der sie nun mit Nährstoffen versorgt. Das ist natürlich alles eine ziemlich lose Angelegenheit, doch die Sicherungsleine hält alles an Ort und Stelle fest. Der Strassenrand ist besiedelt.

Freitag, 13. August 2010

Die Zeitmaschine

Links das Baby, rechts die erwachsene Bänderschnecke.
Mit dem Alter mehren sich die Windungen. Die Rillen
auf dem Haus sind Wachstumslinien. Sie entstehen, weil
die Schnecke ihr Haus in Schüben weiterbaut.
Wie ein Chamäleon verändern wir Menschen unser Aussehen mit den Jahren. Doch anders als das Reptil können wir nie mehr zu unserem früheren Ich zurückkehren. Ein Baby-Gesicht haben wir einmal und dann nie mehr. Bei den Häuschen-Schnecken ist das anders. Die tragen ihre Babyjahre, ihre Kindheit und ihre Teenager-Zeit ständig mit sich herum.
Das Schneckenhaus ist ein spiralförmiger Gang, dessen Öffnung sich mit jeder Windung verbreitert. Wachstum bedeutet für eine Schnecke, diesen Gang ständig weiterzubauen. Sie beginnt damit nach dem Schlüpfen aus ihrem Ei. Zu diesem Zeitpunkt besteht ihr Haus aus nicht einmal einer Windung. Aber mit jedem Monat, der verstreicht, fügt sie einige Millimeter Kalk an der Öffnung hinzu. Als Teenager hat sie dann drei oder vier Windungen vollbracht und als Erwachsener fünf oder sechs (bei den Bänderschnecken zumindest).
Natürlich kann man damit auch
Türmchen bauen.
Das heisst, jedes Schneckenhaus ist eine Art Zeitmaschine. Folgt man den Windungen ins Zentrum, reist man mit jedem Zentimeter weiter zurück in die Vergangenheit. Nach der letzten Windung, ist man bei der Geburt angekommen. So sah sie als Baby aus. Ihr Leben lang trägt sie diesen Spiegel ihrer Vergangenheit mit sich herum.

Dienstag, 10. August 2010

Recycling auf 14 Beinen

Asseln fressen sich durch meinen Komposthaufen und
machen aus Pflanzen wieder Humus.
Pflanzen machen viel Abfall. Sie bringen Blätter, Blüten und Früchte hervor, stellen sie ein paar Wochen zur Schau und werfen dann die ganze Pracht zu Boden als sei sie nichts wert. Die Welt wäre schon längst unter einem Berg von Pflanzenabfällen begraben worden, wenn nicht ständig eine unermüdliche Armee dafür sorgen würde, dass jedes gefallene Blatt sogleich in seine Bestandteile zerlegt wird.
Das ist der Lebensinhalt der Asseln. Deswegen sind sie in meinem Komposthaufen besonders zahlreich. Dort fressen sie sich durch matschigen Salat, verschimmelte Zitronenschalen und Aststückchen. Mit ihrem Darm brechen sie das Pflanzenmaterial auf und entnehmen ihm die Nährstoffe, die sie zum Überleben benötigen. Den Rest scheiden sie wieder aus. Weil sie aber eine ziemlich schlechte Verdauung haben, ist das, was hinten raus kommt, immer noch sehr nahrhaft. Darum fressen sie ihren Kot gleich mehrmals, um bloss nichts zu verschwenden. So entsteht am Ende das, was Pflanzen am meisten lieben: ein kleiner, düngerreicher Humuskrümel.

Donnerstag, 5. August 2010

Die zwei Gesetze des Mooses

Moos macht jeden Ast zu einem
immergrünen Garten.
Auf den ersten Blick ist Moos ein evolutionärer Rohrkrepierer. Während andere Pflanzen riesige Blätter, wunderbare Blüte oder süsse Früchte hervorbrachten, ist das Moos einfach nur Moos geblieben. Eintönig, klein und unscheinbar.
Aber auf den zweiten Blick sieht alles ganz anders aus. Da ist das Moos ein evolutionärer Quantensprung, eine gänzlich neue Art von Pflanze. Denn zuvor gab es Grünzeug nur im Wasser in Form von gallertartigem Seetang und schlaffen Algenfäden. Sobald sie von der Brandung ans Land gespült wurden, war ihr Leben verwirkt. Sie trockneten aus und endeten als formlose Haufen.
Moos änderte all das. Indem es Haupttrieb und Blätter versteifte, konnte es an Land sein eigenes Gewicht tragen ohne dabei gleich einzuknicken. Somit war es nicht mehr auf das stützende Korsett aus Wasser angewiesen und konnte fortan wachsen, wo es wollte.
Genügsam wie es ist, wächst es munter in den Ritzen
von Pflastersteinen.
Das tat es auch. Es besiedelte die öde und unwirtliche Steinlandschaft, in welche die Erde vor 400 Millionen Jahren gekleidet war. Das war sein neues Reich. Und alles, wonach es verlangte, war ein bisschen Wasser und Licht. Hier offenbart sich die zweite grosse Errungenschaft des Mooses. Die Sparsamkeit. Es benötigt fast keine Nährstoffe, um zu gedeihen. Deshalb trifft man es auch heute noch an den unmöglichsten Orten an: auf Vogelhäusern, auf Ästen und zwischen den Ritzen von Pflastersteinen.
Der aufrechte Wuchs und die Sparsamkeit sind die beiden Prinzipien, von denen das Überleben aller heutigen Landpflanzen abhängt. Doch erfunden hat sie nicht die Rose oder der Apfelbaum, sondern das kleine, unscheinbare Moos.

Montag, 2. August 2010

Der Biotreibstoff

Ein Löffel Konfitüre?! Das ist Gold wert im Tierreich.
Ohne Zucker würde alles Leben im Garten stillstehen. Er ist gewissermassen das Erdöl der Natur. Nur anders als das echte, komm er nicht aus der Tiefe, sondern von der Sonne und zwar in Form von Lichtstrahlen. Diese fallen auf die Blätter von Pflanzen und treiben mit ihrer Energie winzigen Maschinen an, die sich im Innern der Zellen befinden. Sie machen aus Wasser und Kohlendioxid Traubenzucker. Ein wunderbarer Stoff, den Pflanzen in jede beliebige Form bringen können. Dazu hängen sie die einzelnen Traubenzucker-Moleküle wie Lego aneinander. So entsteht Zellulose, ein Grundstoff, aus dem Stängel, Äste, Blätter und Blüten gebaut werden.
Holunderstrauch und Nussbaum sind also im Grunde nichts anderes als grosse Haufen aus festgebackenem Zucker. Ganz zum Leidwesen der Tiere. Denn die müssen Blätter, Stängel, Holz und Wurzeln in ihren Mägen mühsam verdauen und dabei die langen Legoketten, aus denen sie bestehen, wieder aufbrechen. Erst dann können sie die in ihnen gespeicherte Energie für den Betrieb ihres Körpers einsetzen.
Im Augenblick sind sie noch friedlich beisammen. Doch
im nächsten Moment geht der Streit um den Zuckerberg
wieder los.
Doch es gibt auch leichter verdauliche Kost. Nektar zum Beispiel ist Zucker in reiner Form. Den können Insekten direkt in Energie umwandeln. Kein Wunder also finden sich auf einer Blüte alle möglichen Besucher ein von den Honigbienen über die Wespen bis zu den Käfern. Sie alle wollen Treibstoff, sie alle wollen Zucker.
Wie begierig die Tiere danach sind, kann man mit einem Löffel voll Konfitüre testen. Als ich die süsse Verführung auf eine Steinplatte streiche, geht es keine zehn Sekunden bis eine Ameise heranrast und ihre Mandibeln in den klebrigen Berg taucht. Ein Traum ist wahr geworden: Zucker im Überfluss. Doch sie bleibt nicht lange allein damit. Bald darauf landet eine Fliege am Rande des Haufens und leckt, was das Zeug hält. Die Ameise ist vorerst zu beschäftigt, als dass sie sich mit dem neuen Nachbar streiten könnte. Doch ab und zu hebt sie ihren Kopf und rennt ein paar Schritte um ihren Schatz herum. Dabei verscheucht sie jedes Mal die Fliege von ihrem Platz. Diese nimmt es gelassen, surrt kurz in die Luft und landet dann auf der anderen Seite, um sich noch ein paar Portionen Zucker zu gönnen.
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