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Freitag, 9. Juli 2010

Mikado-Sutra

Ein flüchtiger Einblick in die verborgene Welt der
Stelzfliegen. Hier sind sie gerade bei der Paarung.
Ab und zu öffnet sich in einem unerwarteten Augenblick zwischen Gemüsebeet und Rasen ein Tor in eine gänzlich unbekannte Welt. Ich strecke gerade meinen Kopf in die Königskerzen, als genau das passiert. Auf einem Blatt sitzen eng umschlungen zwei sehr eigenartige Insekten. Sie sehen aus wie überdimensionale Mücken. Doch was ich da vor mir habe, sind keine Blutsauger, sondern Aasfresser. Sie gehören zu einer Familie, über die selbst die Wissenschaft nur sehr wenig weiss. Es sind Stelz-Fliegen (Micropezidae). Sie heissen so, wegen ihrer langen Beine.
Ihre Nahrung besteht aus verfaulten Früchten und anderem Pflanzenmaterial und einige Forscher haben sie sogar auf menschlichen Exkrementen beobachtet. Ihre Larven entziehen sich dem Blick der Wissenschaft fast vollständig. Auch sie leben in verrottenden Pflanzenteilen und verpuppen sich dort. Ich vermute mal, dass ich sie im Komposthaufen wieder finden würde – wenn ich wüsste, wie sie aussehen.
Ein weiteres Rätsel ist ihr Paarungsverhalten. Eine der ersten Beschreibungen stammt von Clifford Berg, einem Forscher, der während des 2. Weltkriegs auf den Salomonen stationiert war, um Malaria zu bekämpfen. Er schrieb in seiner Studie: «Die Paarung findet normalerweise auf einem grossen Blatt statt. Das Männchen und das Weibchen bleiben zehn bis fünfzehn Minuten zusammen, manchmal still stehend und manchmal spazierend.» Das war 1947 und seither ist die Literatur über die Stelzfliegen (besonders die über ihr Sexleben) eher dürftig geblieben. In der Zentralbibliothek Zürich gibt es nur zwei alte Bücher über sie.
Was ihre Paarung betrifft, so habe ich Glück, dass ich sie gerade dabei erwische. Wenn man in Gedanken erst einmal das mikadoartige Gewirr von Beinpaaren geordnet hat, zeigt sich, dass das Männchen offenbar eine sehr komfortable Stellung einnimmt. Seine vorderen Beinpaare halten das Weibchen um die Taille fest. Mit dem mittleren Beinpaar presst er ihren Bauch gegen seinen Penis und das hinterste Paar lässt er einfach in der Luft hängen. Das arme Weibchen trägt also ihren Liebhaber mit sich herum.

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