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Montag, 17. Mai 2010

Plan B

Brennnesseln besitzen eine Waffe gegen Säugetiere aber
keine gegen Frassinsekten. Hier sind Rüsselkäfer
am Werk.
Wenn ein Schaf oder eine Kuh kommt, hat man als Pflanze Pech gehabt, denn im nächsten Augenblick findet man sich in seine Einzelteile zerlegt an einem sehr dunklen und übel riechenden Ort. So ist das eben als erstes Glied in der Nahrungskette. Doch nicht alle Pflanzen haben sich mit dieser Tatsache abgefunden. Wenigstens nicht kampflos. Stattdessen haben sie im Laufe ihrer Evolution an Strategien getüftelt, wie sie dem Schaf ein Schnippchen schlagen können.
Die Brennnessel zum Beispiel produziert Ameisensäure, ein Gift, das sie auf die Zungen ihrer Fressfeinde versprüht, sobald diese Blätter oder Stängel berühren. Eine sehr wirkungsvolle Erfindung, denn auf abgegrasten Schafweiden sind Brennnesseln oft die einzigen Pflanzen, die noch stehen. Zu ihrem Leidwesen stecken nicht in allen Mäulern empfindliche Zungen. So gibt es beispielsweise ein paar Dutzend Schmetterlingsraupen, die sich von der Brennnessel ernähren; einige von ihnen sogar ausschliesslich nur von ihr. Was lässt sich da machen? Noch eine chemische Waffe zu unterhalten, wäre zu kostspielig für die Pflanze. Sie braucht ja auch noch Kraft zur Produktion der Samen.
Der Brennnessel-Rüssler schwächt mit seinen
Fressgewohnheiten die Struktur der Blätter.
Nichtsdestotrotz hat die Brennnessel einen Plan B, falls der Trick mit der Ameisensäure nicht funktionieren sollte. Bei den Exemplaren in meinem Garten sehe ich das sehr schön. Sie werden jedes Jahr vom Brennnessel-Rüssler heimgesucht, einem Vertreter der Rüsselkäfer. Er besitzt die leidige Angewohnheit, kleine Löcher in die Blätter zu fressen. Dadurch werden diese oft so in ihrer Stabilität beeinträchtigt, dass sie beim nächsten starken Unwetter zerfleddern.
Auf diese Bedrohung reagiert die Brennnessel auf bemerkenswerte Art und Weise. Sie wächst dem Rüsselkäfer einfach davon und zwar nach oben. Unentwegt bringt ihre Triebspitze frische Blätter hervor. Diese können sich ungestört der lebenswichtigen Photosynthese widmen. Denn aus irgendeinem Grund verschonen die Käfer die obersten zwei bis drei Blattpaare. Vielleicht ist die Behaarung bei den frischen Blättern noch so dicht, dass die Käfer Mühe haben, auf ihnen vorwärts zu kommen. Oder möglicherweise gibt es in ihnen einen Ekel erregenden Stoff, der in den älteren Blättern nicht mehr vorkommt. Die Moral von der Geschichte ist jedenfalls folgende: Nicht zurück blicken, sondern immer nach vorn!

1 Kommentar:

  1. Wie immer erfrischend, erheiternd und für einen Historiker (der in der Mittelschul-Biologie eher Zellmechanismen und menschlicher Biologie zugetan war) sehr lehrreich. Weiter so!

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