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Ein Trümmerhaufen von einem Schneckenhaus. Der Täter lässt sich leicht überführen. |
Alle Tiere und Pflanzen sind durch unsichtbare Fäden miteinander verbunden. Es ist das Nahrungsnetz, welche das ganze Ökosystem zusammenhält. Es zeigt sich nur zu bestimmten Zeiten und entblösst sein Geheimnis nur an wenigen Orten des Gartens. Etwa am Futterhäuschen, wenn sich die Vögel um die Sonnenblumensamen streiten. Oder am Salat, wenn die Schnecken sich über ihn hermachen.
Es gibt auch indirekte Anzeichen für die Gegenwart des Nahrungsnetzes. Sie graben sich für kurze Zeit in die Landschaft ein, bevor sie für immer verschwinden. Leere Schneckenhäuser zum Beispiel. Es ist erstaunlich, wie viele im Augenblick auf meinem Rasen liegen. Ihr massenhaftes Auftreten hat sicher damit zu tun, dass das Gras noch sehr kurz ist und ich es bislang noch nicht für nötig gehalten habe, den Rasenmäher aus der Garage zu holen. Der häckselt nämlich sowohl leere als auch volle Schneckenhäuser bei jedem Einsatz klein.
Die Winterpause hat nun die regelmässige Rasur des Rasens unterbrochen. So konnten sich die Schneckenhäuser über einige Monate frei von Verlusten ansammeln, was erklärt, warum sie so zahlreich sind, jedoch nicht, woher sie kommen. Um das Rätsel zu lösen, bedarf es ein wenig Schneckenhaus-Forensik.
Bei näherem Betrachten lassen sich alle Häuschen in zwei Typen unterteilen: die ganzen und die zertrümmerten. Die letzteren sind dabei nicht einfach dem natürlichen Verwitterungsprozess zum Opfer gefallen, wie man vermuten könnte, sondern es macht den Anschein, als ob sie willkürlich kaputt gemacht wurden. Vor allem, weil die Bruchstücke makellos sind und oft noch ihren ursprünglichen Glanz besitzen. Nun, es gibt in der Tat ein Tier, das bekannt dafür ist, immerzu auf dem Boden rumzuhacken: die Amsel. Ein kurzer Blick auf ihren Speiseplan genügt, um sie als Täterin zu überführen. Sie hat eine besondere Vorliebe für Regenwürmer und Schnecken jeglicher Art.
Die dünne Schale eines Schneckenhauses stellt kein ernsthaftes Problem für sie dar. Ihr kräftiger Schnabel spaltet es entzwei wie eine Auster. Ein Festessen für die Amsel. Das Resultat liegt jetzt auf meinem ungemähten Rasen. Es gewährt mir einen flüchtigen Einblick in das Nahrungsnetz – die unsichtbare Struktur, die das Leben zusammenhält. Denn ohne Schnecken keine Amsel und ohne Amsel niemand, der die Schnecken an ihrer explosionsartigen Vermehrung hindert und daran, dass sie meinen Salat dem Erdboden gleich machen.
Und die Schneckenhäuser, die nicht zertrümmert wurden? Na ja, vielleicht sind die einfach an Altersschwäche gestorben. Das soll es im Tierreich ja auch geben.
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