Das Leben der Blattläuse in meinem Garten gibt es jetzt als Comic. Hier bestellen.

Mittwoch, 28. April 2010

Klima-Abkühlung

Die Japanische Zierkirsche.
Die grösste Farbexplosion im Garten findet statt, wenn die Japanische Zierkirsche (Prunus serrulata) zu blühen beginnt. Der Baum sieht dann aus wie ein rosaroter Atompilz. Es ist immer sehr spannend, das genaue Datum des Blühbeginns vorauszusagen, aber ich bin nicht sehr gut darin. Das liegt vielleicht daran, dass die Japanische Kirsche sehr temperaturempfindlich ist. Umso wärmer der März und April, desto früher blüht sie. Zwar gibt es komplizierte Modelle von japanischen Forschern, die Anhand des Temperaturverlaufs den Blühbeginn genau voraussagen können. Aber das ist mir zu viel Arbeit. Und mittlerweile habe ich eine einfachere Methode gefunden:
Unten im Dorf gibt es auch einige Zierkirschen. Die öffnen ihre Blüten immer einige Tage früher als mein Baum. Fünf Tage früher, um genau zu sein. Und das ist meine Formel. Dorf plus fünf macht Blühtermin im Garten. Natürlich muss ich in den nächsten Jahren überprüfen, wie genau diese Berechnung ist. Vielleicht ergibt sich daraus mit der Zeit einen Mittelwert. 4,3 Tage zum Beispiel.
0,2 Grad Celsius Unterschied verschiebt
den Blühtermin um einen Tag.
Aber warum ist mein Kirschbaum immer später dran? Nun, mein Garten liegt genau 640 Meter über Meer. Das Dorf jedoch nur 550 Meter. Das sind 90 Meter Höhenunterschied. Da es pro hundert Meter Höhe im Schnitt 0,65 Grad Celsius kälter wird, ist die durchschnittliche Temperatur in meinem Garten um 0,6 Grad kälter als unten im Dorf. Das sind 3 Kirschblütentage – denn 0,2 Grad Temperaturunterschied verschiebt den Blühtermin um einen Tag (das haben auch die japanischen Forscher herausgefunden).
Drei Tage? Aber meine Kirsche blüht ganze fünf Tage später! Ja genau; es fehlen uns noch zwei Tage oder 0,4 Grad Celsius Temperaturunterschied. Wo kommen die her? Ganz einfach: aus dem Dorf. Überbaute Landschaften sind wärmer als Grünland. Die Sonne heizt die Oberfläche aus Teer und Beton auf wie eine Herdplatte. In grossen Städten kann so die Temperatur ein oder zwei Grad höher liegen als ausserhalb. Darum also die 0,4 Grad Celsius, die das kleine Dorf (zusätzlich zum Höhenunterschied) wärmer ist als mein Garten. Das scheint physikalisch gesehen nicht viel, doch mein Kirschbaum muss wegen dieses winzigen Unterschieds nochmals zwei Tage länger auf das Blühen warten.

Mittwoch, 21. April 2010

Aufstieg der Klone

Eine hochschwangere Urmutter. Die schwarzen
Pünktchen auf ihrem Hinterleib sind die Augen der
ungeborenen Jungen.
Es ist nun Zeit den Blick für einen Moment vom blühenden Garten zu nehmen und in die ferne schweifen zu lassen. Denn was dort passiert, wird weit reichende Konsequenzen für das Ökosystem vor meiner Haustür haben. Genau 250 Meter in nordwestlicher Richtung steht am Waldrand eine Traubenkirsche, die gerade ihre Blätter entfaltet. Und auf ihnen hocken die ersten Getreide-Blattläuse (Rhopalosiphum padi) des Jahres. Sie sind vor einigen Tagen aus ihren Eiern geschlüpft und laben sich nun am Saft der jungen Triebe. Inzwischen sind die Blattläuse zu riesigen Bombern herangewachsen. Sie haben eine wirklich ungewöhnliche Grösse von rund drei Millimetern erreicht.
Das muss so sein, denn diese erste Generation besteht aus Urmüttern, so genannten Fundatrixen. Es sind alles Weibchen und perfekte Gebärmaschinen. Die erwachsenen Tiere bringen alle zwei Stunden ein Junges zur Welt. Das macht 12 Junge pro Tag pro Urmutter oder 84 pro Woche. Die Jungtiere sind ihrerseits bereits schwanger. Das waren sie im Grunde schon im Mutterleib. Und sobald sie ausgewachsen sind – etwa nach einer Woche – beginnen sie selbst damit, ohne Unterlass Kinder auf die Welt zu stellen, die nach einer weiteren Woche auch für Nachwuchs sorgen.
Alle zwei Stunden gebärt sie ein genetisch
identisches Junges.
Diese Bevölkerungsexplosion bewerkstelligen die Blattläuse mit einem Trick. Sie verzichten auf Sex – ja, sie haben die Männer gleich ganz abgeschafft und aus ihrer Gesellschaft verbannt. Die Weibchen besitzen die wunderbare Gabe sich ohne Geschlechtsverkehr fortzupflanzen. Bestimmte Zellen in ihrem Innern entwickeln sich unentwegt zu neuen Nachkommen. Das Besondere an diesen: sie sind alle genetisch identisch. Es sind alles Klone ihrer Mutter.
Aber die Blattläuse können noch viel mehr als das. Bald schon wird es auf der Traubenkirsche sehr eng werden. Die kleinen Insekten müssen also irgendwie runter von diesem Strauch. Das schaffen sie ganz leicht, denn die Nachkommen der Urmutter besitzen Flügel. Die wuchsen ihnen, weil sie einige Gene eingeschaltet haben, die in der Urmutter noch inaktiv waren. Und so ausgerüstet ist es bis zu meinem Garten natürlich nicht mehr weit.
Da scheint ja eine richtige Invasion auf mich zuzukommen. Zwar werden sich die Getreide-Blattläuse vor allem auf den Gräsern meines Rasens niederlassen, doch es gibt noch etliche weitere Arten, die sich an Rosen, Salat, Bohnen und Haselnuss gütlich tun werden. Für fast jede Pflanze im Garten gibt es eine Blattlausart. Eine Katastrophe? Nein. Blattläuse stehen am unteren Ende der Nahrungskette. Das heisst, jedes andere Tier im Garten ernährt sich direkt oder indirekt von ihnen. Sie sind für das Ökosystem des Gartens, was das Plankton für die Meere ist. Ich kann mich also getrost zurücklehnen und zusehen, wie sich Marienkäfer, Florfliegenlarven und Schlupfwespen über die Klon-Armee hermachen.

Mittwoch, 14. April 2010

Gelage auf dem Blütenturm

Blühen und duften können die
Hyazinthen wie keine andere
Gartenpflanze.
Es wundert mich nicht, dass die Käfer ausgerechnet auf ihr gelandet sind. Die Hyazinthe (Hyacinthus orientalis) ist eine der effizientesten Blüherinnen im Garten und jedes Lebewesen, das sich für Blumen interessiert muss einfach zu ihr hin und sie bestaunen und sie nach Möglichkeit vernaschen. Uns Menschen geht es da nicht anders. Diese Pflanze ist der Inbegriff des Wortes «blühen».
Das war nicht immer so, denn die Üppigkeit der Hyazinthe ist nicht dem Schoss der Natur entsprungen, sondern vielmehr der Geduld der Züchter.
Im 16. Jahrhundert wurden die ersten wilden Exemplare aus der Türkei eingeführt. Die Züchtung hat im Laufe der Jahrhunderte das schöne Monster aus ihr gemacht, das es heute in jeder Gärtnerei zu kaufen gibt. In einem geschlossenen Raum verursacht ihr intensiver Duft schon fast Kopfweh. Beim Wildtyp stehen die einzelnen Blüten viel lockerer und es gibt bei weitem nicht so viele auf einmal pro Stamm.
Doch wenn kümmert das? Die Rapsglanzkäfer, die sich jetzt über sie hermachen, sicher nicht. Sie sind gefürchtete Raps-Schädlinge, die sich auf den Verzehr von Geschlechtsorganen der Pflanzen spezialisiert haben. Das heisst, sie fressen den Pollen (die männlichen Geschlechtsteile), die Stempel (die weiblichen Geschlechtsteile) und die Fruchtknoten (die Gebärmutter). Ohne sie kann der Raps keine Samen produzieren und die Bauern gehen leer aus.
Dieser Käfer hat den Weg zurück
ins Restaurant gefunden.


Natürlich blüht jetzt im April noch kein Raps und darum kommen ihnen die Hyazinthen wie gerufen. Für sie muss sich das wie der Besuch in einem Hochhaus anfühlen, in dem es auf jedem Stock ein anderes Restaurant gibt. Ein Festessen.
Er hat sich in der Adresse geirrt.






Doch die Gäste sind bei aller Gier, mit der sie sich im Pollen wälzen, ein wenig schreckhaft. Wenn ich mit meinem Mund nahe an die Blüten heran komme und dann ein wenig blase, lassen sich die Käfer sofort fallen. Offenbar ist das eine Art Schutzreflex, der sie vielleicht davor bewahrt, von einem Vogel oder einem anderen Räuber gefressen zu werden. Die Käfer rieseln gleich zu Dutzenden aus den tiefen Blütenkelchen der Hyazinthe und lassen sich in die Schluchten des Rasens fallen. Dort bleiben sie allerdings nicht lange liegen. Bald schon sehe ich sie wieder am Stamm der Hyazinthe empor klettern. Einige irren sich dabei auch in der Adresse. Denn statt im 5-Sterne Restaurant landen sie auf der Spitze eines Grashalms. Dort hocken sie minutenlang und überlegen sich wahrscheinlich, wie nochmals eine Hyazinthe von unten aussieht.

Mittwoch, 7. April 2010

Genetisch veränderte Osterglocken

Die äusseren Blütenblätter heissen «Krone» und
der innere Trichter «Nebenkrone».
Das Narzissen-Beet steht in voller Blüte. Da gibt es grosse und kleine Osterglocken, früh und spät blühende, solche in Einheitsfarbe und solche mit oranger Nebenkrone oder weisser Hauptkrone. Diese Vielfalt kommt nicht von ungefähr. Meine Grossmutter hat über die Jahrzehnte immer wieder neue Sorten angepflanzt. Jetzt sind es sicher ein halbes Dutzend – soweit ich das als Laie überhaupt beurteilen kann.
Denn von den Osterglocken oder Narzissen gibt es indessen rund dreissigtausend verschiedene Sorten. Dieser Reichtum kommt vor allem davon, dass sich die Narzissen nicht sonderlich um den Artbegriff kümmern. Normalerweise gibt es eine unsichtbare aber unüberwindbare Grenze zwischen zwei Spezies: Sex. Ein Männchen kann nur mit einem Weibchen derselben Art Nachkommen zeugen. Darum sind Spatzen Spatzen und Amseln Amseln und nicht Amstzen.
Die Evolution geht immer noch weiter
im Osterglocken-Beet.
Doch die Narzissen sind so etwas wie die Hippies der Gartenpflanzen. Sie leben die sexuelle Freizügigkeit. Wenn zwei verschiedene Arten die Gelegenheit bekommen, dann kreuzen sie sich breitwillig und bringen sogar gesunde Nachkommen hervor. Es wird vermutet, dass die Narzissen das schon getan haben, lange bevor der Mensch mit der gezielten Züchtung begann. Allein durch den sexuellen Akt sind so in der Natur mehrere neue wilde Arten entstanden. Statt sich also über Jahrmillionen langsam zu verändern, nahmen die Narzissen eine Abkürzung und brachten in nur einer Generation neue Nachkommen hervor, die weder Spatz noch Amsel waren, sondern tatsächlich Amstz.
Mitte des 19. Jahrhunderts haben englische Züchter den freizügigen Charakter dieser Pflanzen erkannt und begannen damit, selbst Hand anzulegen. Über die Jahrzehnte entstanden aus den rund zehn Arten zehntausende von neuen Sorten. So gross war die Vielfalt, dass ein eigenes Einteilungs-System nur für Narzissen eingeführt wurde.
Diese Tatsache stimmt mich nachdenklich, wenn ich so vor dem Osterglocken-Beet stehe. Geht der Prozess der Artbildung noch immer weiter hier direkt vor meiner Nase? Jede Sorte, die einst meine Grossmutter pflanzte, bildet ein eigenes Grüppchen. Doch zwischen ihnen gibt einzelne Pflanzen, die sich nicht so leicht einem Grüppchen zuteilen lassen. Einige Meter entfernt vom Beet stehen zudem ein paar Osterglocken im Rasen. Auch sie weisen Charakterzüge von mehreren Sorten auf. Nicht ganz kleinwüchsig aber auch nicht wirklich gross; nicht früh blühend aber auch nicht sonderlich spät. Vielleicht sind sie das, meine eigenen, unbeabsichtigten Züchtungen. Und vielleicht werden sich diese neuen Formen eines Tages aus meinem Garten stehlen und irgendwo auf einer Wiese ein neues Zuhause finden. Hundert Jahre später entdeckt sie ein Botaniker, der sie als neue Art feiert... (Hätte er doch nur zuerst meinen Blog gelesen.)

Donnerstag, 1. April 2010

Schneckenhaus-Forensik

Ein Trümmerhaufen von einem Schneckenhaus.
Der Täter lässt sich leicht überführen.
Alle Tiere und Pflanzen sind durch unsichtbare Fäden miteinander verbunden. Es ist das Nahrungsnetz, welche das ganze Ökosystem zusammenhält. Es zeigt sich nur zu bestimmten Zeiten und entblösst sein Geheimnis nur an wenigen Orten des Gartens. Etwa am Futterhäuschen, wenn sich die Vögel um die Sonnenblumensamen streiten. Oder am Salat, wenn die Schnecken sich über ihn hermachen.
Es gibt auch indirekte Anzeichen für die Gegenwart des Nahrungsnetzes. Sie graben sich für kurze Zeit in die Landschaft ein, bevor sie für immer verschwinden. Leere Schneckenhäuser zum Beispiel. Es ist erstaunlich, wie viele im Augenblick auf meinem Rasen liegen. Ihr massenhaftes Auftreten hat sicher damit zu tun, dass das Gras noch sehr kurz ist und ich es bislang noch nicht für nötig gehalten habe, den Rasenmäher aus der Garage zu holen. Der häckselt nämlich sowohl leere als auch volle Schneckenhäuser bei jedem Einsatz klein.
Die Winterpause hat nun die regelmässige Rasur des Rasens unterbrochen. So konnten sich die Schneckenhäuser über einige Monate frei von Verlusten ansammeln, was erklärt, warum sie so zahlreich sind, jedoch nicht, woher sie kommen. Um das Rätsel zu lösen, bedarf es ein wenig Schneckenhaus-Forensik.
Bei näherem Betrachten lassen sich alle Häuschen in zwei Typen unterteilen: die ganzen und die zertrümmerten. Die letzteren sind dabei nicht einfach dem natürlichen Verwitterungsprozess zum Opfer gefallen, wie man vermuten könnte, sondern es macht den Anschein, als ob sie willkürlich kaputt gemacht wurden. Vor allem, weil die Bruchstücke makellos sind und oft noch ihren ursprünglichen Glanz besitzen. Nun, es gibt in der Tat ein Tier, das bekannt dafür ist, immerzu auf dem Boden rumzuhacken: die Amsel. Ein kurzer Blick auf ihren Speiseplan genügt, um sie als Täterin zu überführen. Sie hat eine besondere Vorliebe für Regenwürmer und Schnecken jeglicher Art.
Die dünne Schale eines Schneckenhauses stellt kein ernsthaftes Problem für sie dar. Ihr kräftiger Schnabel spaltet es entzwei wie eine Auster. Ein Festessen für die Amsel. Das Resultat liegt jetzt auf meinem ungemähten Rasen. Es gewährt mir einen flüchtigen Einblick in das Nahrungsnetz – die unsichtbare Struktur, die das Leben zusammenhält. Denn ohne Schnecken keine Amsel und ohne Amsel niemand, der die Schnecken an ihrer explosionsartigen Vermehrung hindert und daran, dass sie meinen Salat dem Erdboden gleich machen.
Und die Schneckenhäuser, die nicht zertrümmert wurden? Na ja, vielleicht sind die einfach an Altersschwäche gestorben. Das soll es im Tierreich ja auch geben.

Hier geht es zur Schneckenhaus-Diaschau
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