Das Leben der Blattläuse in meinem Garten gibt es jetzt als Comic. Hier bestellen.

Sonntag, 21. März 2010

Brummer tankt auf

Den Hintern in die Sonne, den Kopf in die
Nektardrüsen. Eine Hummelkönigin tankt auf.
Die erste Hummelkönigin schleppt sich heute sich über das Meer von offenen Krokusblüten. «Schleppen» ist der richtige Ausdruck, denn zum Fliegen ist sie sich selbst zu schwer. Wenn sie mit einer Blüte fertig ist, dann angelt sie sich einfach zur nächsten Weiter. Sicher ist das viel energiesparender, aber wie eine Königin sieht sie dabei nicht aus. Sie kommt vermutlich gerade aus ihrem Winterquartier und ist noch etwas steif in den Flügeln.
Vor ihr liegt eine grosse Aufgabe. Sie muss einen neuen Staat gründen. Doch dazu benötigt sie viel Kraft. Die holt sie sich vom Nektar der Krokusblüten. Doch für die zierlichen Gebilde ist der dicke, haarige Körper schon fast zu gross. Vor allem ihr andauerndes Strampeln setzt den hübsch bemalten Blütenblättern zu.
Sie strampelt und deformiert die Blüten dabei arg.
Zu allem Übel befinden sich die Nektardrüsen am untersten Ende der Blüte. Die Hummelkönigin streckt mit allen sechs Beinen rudernd ihren Kopf in diese Richtung. Wenn es nicht mehr weitergeht, weil die Dame einfach zu dick ist, fährt sie ihre lange Zunge aus bis sie endlich ihre Malzeit bekommt.
Der Blüte kann das indes nur recht sein, denn ihre Staublätter bepudern während des ungestümen Besuchs den haarigen Bauch der Königin mit Pollen. So bekommt jeder, was er will. Für die Hummelkönigin ist das vermutlich die unbeschwerteste Zeit ihres Lebens. Was danach kommt, ist der pure Stress: einen geeigneten Nistplatz suchen. Dabei prüft sie jedes verlassene Mausloch, jedes Gestrüpp, jeden leeren Blumentopf. Wenn es jetzt noch etwas wärmer wird, patrouillieren die Jungköniginnen bald zu Dutzenden durch den Garten.
Studien aus England haben gezeigt, dass sie sich dabei vor allem in unordentlichen Gärten niederlassen. Denn dort gibt es besonders viele Strukturen wie Hecken, ungeschnittenes Gras oder Asthaufen. Für Hummeln ein Paradies. Lohnen sich solche Untermieter überhaupt? Ja natürlich. Hummeln sind gute Bestäuber, die schon bei kalten sechs Grad Celsius ihre Arbeit aufnehmen, sprich die Tomaten bestäuben. Sie fliegen noch, wenn Bienen bereits frierend in ihrem Stock sitzen.

Montag, 15. März 2010

Pfefferspray auf dem Fensterbrett

Draussen liegt Schnee, drinnen
blüht meine Chili-Pflanze.
Über den Winter habe ich einige Chili-Pflanzen auf dem Fensterbrett angezogen. Sie gehören zu einer Zwergsorte der Spezies Capsicum frutescens. Der Lohn meiner ständigen Besorgnis um das Wohl der kleinen Pflänzchen kam letzte Woche. Die erste Blüte öffnete sich. Sie sieht wunderschön aus. Vor allem, wenn man sie von ganz nah betrachtet. Die weissen Blütenblätter sind nur wenige Zellen dick. In jeder einzelnen von ihnen bricht sich das Sonnenlicht und es sieht aus wie die glitzernde Oberfläche des Schnees an einem kalten Wintermorgen.
Ganz wichtig bei Chilis, die im Haus blühen, ist die Nachhilfe bei der Bestäubung. Das übernehmen normalerweise die Insekten, aber in der sterilen Umgebung eines Wohnzimmers oder Büros können die sehr rar sein. Zur Bestäubung reicht es in der Regel, die Pflanzen etwas zu schütteln. Wer sicher gehen möchte, so wie ich, der nimmt den Zeigefinger und fährt damit sanft über Staubblätter und Stempel. So landet der Pollen zuverlässig auf der Narbe und die Befruchtung kann ihren Lauf nehmen. Wenn man dabei von Freunden oder Verwandten ertappt wird, sagt man einfach: «Ich habe gerade Sex mit meiner Zimmerpflanze. Dürfte ich bitte um etwas Privatsphäre bitten.»
Die Blütenblätter sind so dünn, dass jede
einzelne Zelle als glitzernder Punkt sichtbar ist.
Einige Tage nach der Befruchtung fallen die Blütenblätter ab und die Schote beginnt zu wachsen. In ihr bildet sich eine sehr interessante Chemikalie, das Capsaicin. Es gibt der Schote ihre Schärfe und ist derselbe Stoff, der auch in Pfeffersprays verwendet wird. Jetzt die grosse Preisfrage: Warum pumpt eine Pflanze ihre Früchte mit einer Substanz voll, welche sie ungeniessbar machen?
Nicht ganz ungeniessbar, lautet die Antwort. Denn beim Konsum von Capsaicin verschlägt es ausschliesslich Säugetieren den Atem. Nicht aber Vögeln. Die spüren gar nichts. Für sie sind Chili-Schoten ein Festessen. Darum färben die Pflanzen ihre reifen Früchte so schön rot, weil das die Lieblingsfarbe der Vögel ist.
Das Capsaicin dient aber nicht dazu, Säugetiere vom Bankett abzuhalten. Vielmehr ist es eine Abwehr gegen Fusarien. Das sind Pilze, die es auf Chili-Samen abgesehen haben. In der ursprünglichen Heimat der Chilis, Mittelamerika, sind sie weit verbreitet. Darum begannen sich die Pflanzen im Laufe der Evolution gegen diese Räuber zu wehren, indem sie immer mehr Capsaicin produzierten. Es hindert die Pilze am Wachstum. Das ist auch der Grund, warum mit Chili versetze Speisen länger frisch bleiben.

Mittwoch, 10. März 2010

Expedition zum Plateau-Berg

Das gigantische Moospolster: Hier wird eines Tages ein
Nationalpark entstehen.
Vier geschlagene Minuten wanderte ich durch eine schier endlose Eiswüste. Quadratmeter für Quadratmeter nichts als eine blendend weisse Fläche aus windgepeitschtem Schnee. Die Kälte biss sich in meine blossen Hände fest, während ich mich Zentimeter für Zentimeter voranquälte. Es wäre nicht weit bis zur nächsten heissen Schokolade gewesen; doch wer einmal hier draussen unterwegs war, kann sich nicht ohne weiteres vom Anblick dieser Wildnis losreissen.
In der fünften Minute begann das Gelände leicht anzusteigen. Ich nahm den Blick vom Boden und sah in der Ferne, einen ganzen Meter weit weg, einen Plateau-Berg aufsteigen. Seine Seitenwände fielen steil ab. Deshalb konnte sich dort der Schnee nicht festsetzen. Zum ersten Mal seit langem bekam ich etwas Grünes zu Gesicht. Dreissig Sekunden später konnte ich sogar ausmachen, was es war: ein riesiges Moospolster.
Das war die Entdeckung des Tages. Wie lange mochte es dieser Eiszeit schon trotzen? Einen Tag, zwei Tage, eine ganze Woche? Vermutlich hatte es sich im Laufe der Zeit zu einer einzigartigen Spezies entwickelt, die es nirgendwo sonst auf der Erde gab. Eine Probe davon würde mich als Entdecker berühmt machen. Mein Name würde in einer Reihe mit Cook, Humboldt und Kolumbus genannt werden. Der Mann, der das gigantische Moospolster gefunden hat. Sicher gäbe das auch einen hübschen Eintrag in Wikipedia (unter Bieri).
Der Krokus beschleunigt mit seinen Blättern
das Ende der Eiszeit.
Beim Abstieg über die Südseite kam ich an einer Serie von Schneelöchern vorbei. Aus jedem spross ein Krokus. Das Abschmelzen des Schnees wurde vermutlich durch die dunkelgrüne Farbe der Blätter beschleunigt, da sie sich in der Sonne erwärmten und wie kleine Öfen wirkten. Das werde ich in meinem Expeditionsbericht zuhanden der Royal Society sicher in einer Fussnote erwähnen.

Mittwoch, 3. März 2010

Feuer frei!

Der Bärlauch wächst einen
Zentimeter pro Tag.
Es ist ein Schauspiel, das es im tropischen Regenwald nicht zu sehen gibt: Das Frühlingserwachen der Natur. Die starken Föhnwinde haben inzwischen den letzten Rest Schnee im Garten verflüssigt und so das Feld für die Blumen frei gemacht. Die lassen nicht lange auf sich warten. Ich muss nun aufpassen, wohin ich trete. Einmal unvorsichtig und meine Schuhe walzen die zarten Blattspitzen gleich zu Dutzenden platt. Wo vorher nur trockenes Moos war, spriessen jetzt Hyazinthen und Osterglocken in solchen Mengen, als hätte ein unsichtbarer Gärtner die ganze letzte Nacht hier gewütet.
Natürlich ist der Gärtner die Natur selbst. Zu keiner anderen Jahrszeit geht sie mit einer so wahnwitzigen Geschwindigkeit zu Werke wie im Frühling. Am meisten erstaunt mich der Bärlauch, der noch vor einer Woche eine Handbreit in der Erde steckte. Jetzt streckt er bereits seine ersten Blätter in die wärmende Sonne. Das ergibt ein Längenwachstum von einem Zentimeter pro Tag! Und zwischen dem spriessenden Dschungel geht bereits die erste Feuerwanze auf Futtersuche. Oder vielleicht hält sie auch schon nach einem geeigneten Partner Ausschau.
Vorsicht Krokusse!
Jeder Quadratzentimeter ist voll von ihnen.

Die Krokusse sind sicher die filigransten Frühaufsteher. Ihre Blätter sehen aus wie Tannen-Nadeln, die zu einem dichten Bündel geschnürt sind. Das gibt ihnen eine Stromlinienform, mit der es sich besser aus der Erde und durch das dichte Moos stossen lässt. Sobald sie draussen sind, öffnen sie sich zu allen Seiten um der nachfolgenden Blüte Platz zu machen.
Nach demselben Prinzip gehen auch die Osterglocken vor.
Die letzten Erdkrümel haften noch
an der Speerspitze der Osterglocke.
Alle Blätter sind nach oben gefaltet und bilden eine richtige Lanze, mit der sie von unten das Erdreich durchbohren. Das muss wahre Knochenarbeit sein, zumal an einigen Sprösslingen noch Reste von Erde kleben. Und was lernen wir daraus? Wenn man es nach ganz oben schaffen will, muss man seine Kräfte bündeln und auf ein einziges Ziel hinarbeiten. (Oder vielleicht: Hat man Dreck am Stecken, dann ist das nur ein Zeichen dafür, dass man sehr hart für den Erfolg gearbeitet hat.)


Link zur Bildergalerie «Frühlingserwachen»
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