In der feuchten Erde sputen sich die Bärlauch-Zehen, ihre Blätter an die Sonne zu kriegen. |
Der Bärlauch ist erwacht. Er kommt früher in die Gänge als alle anderen Pflanzen des Gartens. Nicht ohne Absicht, versteht sich. Würde er nämlich erst im Mai oder Juni aus dem Boden gekrochen kommen, wäre die Situation aussichtslos für ihn. Alle anderen Pflanzen haben dann bereits ihre Blätter entfaltet und sind in die Höhe geschossen. Der kleine Bärlauch würde im Schatten seiner Nachbarn verkümmern.
Als Frühaufsteher hat er jedoch gute Karten. Bald werden sich seine Blätter entfalten und ihm einen exklusiven Platz an der Sonne sichern. Währenddessen verschläft seine Konkurrenz den Vorfrühling komplett. Dem Löwenzahn zum Beispiel ist es unter dem Schnee nicht ums Wachsen. Dazu braucht er Sonne und Wärme. Doch beides ist im Augenblick noch Mangelware. Anders der Holunderstrauch. Er hat es einfach nicht nötig, sich zu beeilen. Dank seiner Grösse und Schnellwüchsigkeit überflügelt er die meisten anderen Pflanzen des Gartens. Mit dem Öffnen seiner Knospen kann er sich also Zeit lassen.
Zeit – das ist das Schlüsselprinzip für den Erfolg des Bärlauchs. Woher weiss er, wann die richtige Zeit gekommen ist, um eine Handbreit unter der Erde mit wachsen zu beginnen? Die Antwort ist: Er weiss es nicht. Er muss es nicht wissen, weil er selbst die Zeit ist. Im Erbgut jeder Pflanze gibt es Gene, die wie eine innere Uhr funktionieren. Sie sagen den Zellen, wann der Frühling vor der Tür steht und wann sie beginnen müssen, sich zu teilen. Dabei sind die Uhren aller Bärlauch-Zehen im Garten miteinander synchronisiert. Egal wo im Garten ich grabe, überall sind die Sprosse rund einen Zentimeter lang. So nimmt in der Stille der letzten Wintertage eine lautlose und unsichtbare Mobilmachung ihren Lauf.
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