Die Scheinerdbeere wartet auf den Liebesdienst der Insekten. Doch niemand hat bei minus vier Grad Celsius Lust auf ein Schäferstündchen. |
Die Indische Scheinerdbeere, Potentilla indica, sieht unsere Walderdbeere, Fragaria vesca, zum verwechseln ähnlich. Doch nicht nur ihre Früchte sind von einem anderen Stern, sondern auch ihr Verhalten. Sie scheint das Konzept der Winterruhe überhaupt nicht zu kennen. Sie ist ein Workaholic, ein Blüh-Aholic. Dabei geht sie sehr gewissenhaft vor. Wir erinnern uns an die Glockenblume, die verzweifelt ihre blauen Kelche unter den Schneemassen hervorstreckt und dabei einen jämmerlichen Eindruck macht. Nicht so die Scheinerdbeere. Ihr käme es schon gar nicht in den Sinn unter offenem Himmel Wurzeln zu schlagen. Stattdessen hat sie es sich unter der grossen Schwarzkiefer gemütlich gemacht. Dort ist sie von den Naturgewalten einigermassen geschützt. Im Sommer scheint die Sonne nie direkt auf sie. Im Schatten der dunkelgrünen Nadeln ist es angenehm kühl. Und im Winter halten die ausladenden Äste einen grossen Teil der Schneemassen ab. Unter dem Baum entsteht so ein grüner Fleck Rasen inmitten eines Ozeans aus Schnee und Eis. Auf dieser Insel hat sie ihr Netz ausgebreitet. Es ist ein Geflecht von Ablegern, wie wir sie von den echten Erdbeeren her kennen. Jeder Ableger ist eine exakte genetische Kopie seiner Mutterpflanze. Oder anders gesagt ein Klon. Es ist eine sehr effiziente Art und Weise sich zu vermehren. Eine einzige Pflanze kann so zur Gründerin einer ganzen Kolonie werden.
Irgendein Insekt muss sie doch besucht haben. Oder wird die Blüte auch ohne Bestäubung zur Frucht? |
Unter diesen Bedingungen ist die Produktion von Ablegern eine sehr gute Strategie, um sich gegenüber anderen Pflanzen zu behaupten. Doch noch besser ist es, sich gleichzeitig sexuell fortzupflanzen. Wenn Vögel die Beeren fressen, transportieren sie die Samen in ihrem Darm in andere Gegenden. Ein Flugticket für die kleine Pflanze. Es würde also keinen Sinn machen, das Blühen zu irgendeiner Jahreszeit einzustellen, wenn es nicht unbedingt nötig ist.
Als die ersten Exemplare mit dem Menschen nach Europa kamen, behielten sie dieses Verhalten natürlich bei. Was die Evolution über Jahrmillionen in die Gene geschrieben hat, gibt man in ein paar Jahrzehnten nicht einfach wieder auf. Vielleicht wird sich die Südländerin in ein paar Tausend Jahren eines Besseren besinnen und im Winter eine Pause einlegen. Wenn nämlich mehr als zehn Zentimeter Schnee fallen, bieten selbst die Schwarzkiefer keinen Schutz mehr. Und unter dem Schnee blüht es sich auch als Workaholic schlecht.
Ein Rätsel bleibt: Wer bestäubt die Scheinerdbeere im Januar?
Referenz:
Die Verbreitung der Indischen Scheinerdbeere in Baden-Württemberg
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen